Führungsprinzipien auf dem Prüfstand

Ein untaugliches Mittel wird nicht besser, wenn wir es verdoppeln. Und wenn wir Untaugliches verzehnfachen, gibt es auch keinen höheren Nutzen. Trotz dieser Erkenntnis glorifizieren Verantwortliche oft untaugliche Führungsprinzipien. Zehn Dinge zum Vergessen listet dieser Artikel auf.

 

1. Schnöde Strategie über alles stellen

Viele versuchen, mit Strategien und Methoden von gestern die Probleme von morgen zu lösen. Eine Strategie kann absolut brillant formuliert sein, wenn ihr aber die Organisationskultur entgegensteht, lässt sich diese Strategie nicht umsetzen. Ohnehin wird eines klarer und klarer: Menschen ignorieren Organisationen, die Menschen ignorieren. Strategien verbauen oft den Blick auf das Wesentliche. Mein Credo lautet darum: «Meine Strategie ist Kultur.» Natürlich klingt der Satz «Kultur isst Strategie zum Frühstück und Technologie zum Mittagessen» von Peter F. Drucker wesentlich besser.

 

2. Auf untaugliche Autoritätsschemata setzen

Untaugliche Autoritäten wirken wie aus der Zeit gefallen. Der Weg von der vertikalen über die diffuse bis zur transformativen Autorität war ein weiter. Vorrechte, Bestrafung und Gleichgültigkeit sind tot. Heute geht es um Beziehungswissen und emotionale Intelligenz sowie um Kooperation und Transparenz.

Autoritäre Züge funktionieren im Hinblick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen immer schlechter. Ein junges, dynamisches Team kann mit Härte und Willkür nichts anfangen. Der Leader schafft nicht Regeln und Hierarchien, sondern ein Klima und eine Kultur.

Autoritäre Führungskräfte sind immer weniger gefragt.

 

3. Zahlen, Daten und Fakten als einzige Basis für Entscheidungen sehen

Manager, die sich nur auf «Hard Skills» konzentrieren, entbehren jeder menschlichen Komponente. Sie sehen die Mit- arbeitenden als reine Funktionsträger. Leader hingegen schaffen Rahmenbedingungen, in denen sich die Menschen angenommen fühlen. «Soft Skills» steuern die Beziehungen und befähigen die Mitarbeitenden. Diese arbeiten dadurch selbstständig über ihre Eigeninteressen hinaus. Empathie und Wertschätzung sind oft kritischere Erfolgsmomente als Kontostände und Datenmaterial.

 

4. Ständig über flache Hierarchien reden

Wer ständig über flache Hierarchien spricht und keine Zeit und Energie in die wirkliche Umsetzung investiert, belässt bloss alles beim Alten. Flache Hierarchie erkennen wir an drei Kriterien:

  • Alles sagen (Vertrauen, Offenheit, Kommunikation, …) Kommunikation wird somit zur Basis für Wissen.
  • Alles wissen (kollektives Wissen, Transparenz, Selbstorganisation …) Wissen. wird dadurch zur Basis für tragfähige Entscheidungen.
  • Alles entscheiden (kurze Entscheidungswege, Routinen, Budgets, Entscheidungsqualität …) Richtige Entscheidungen sind die Basis für Erfolg.

 

5. Wissenstransfer hochstilisieren

Wir leben in einer Informationsgesellschaft ohne Ende. Die Halbwertszeit des Wissens schwindet. Wissensaustausch braucht jedoch eine längerfristige Perspektive. Ohne hochkomplexe organisationsinterne Wissenstransfersysteme geht es offensichtlich nicht mehr. Oder etwa doch? Versuchen Sie es mit dieser bestechend einfachen Methode: «Wer weiss, was ich wissen muss? Wer muss wissen, was ich weiss?» Bedenken Sie die Möglichkeit, dass Sie sich in Ihrem Umfeld zudem um die Vermeidung von Nichtwissen kümmern. Wissen ist das einzige Gut, das wir mit anderen teilen können, ohne dabei etwas zu verlieren. Schaffen Sie Bedingungen, bei denen das kooperative Verhalten das naheliegende ist.

 

6. Sich eindimensional auf Digitalisierung und künstliche Intelligenz verlassen

Unsere Antwort auf die radikalste Digitalisierungsphase der Menschheit lautet Digitalisierung. Wie perspektiven- und phantasielos ist das denn? Heute wissen wir, dass junge Menschen im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Denkfähigkeit durch zu viel Bildschirmzeit leiden. Es wird also höchste Zeit, damit aufzuhören, den Alltag noch mehr digitalisieren zu wollen. Das Spannendste ist ja, was nach der Digitalisierung kommt: Postdigitalisierung!

Derzeit sind wir als Gesellschaft dermassen durchdigitalisiert, dass wir uns eine Zeit mit weniger Digitalisierung nicht vorstellen wollen und können. Die Hoffnung aber lebt. In der höchsten Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) könnte es noch Menschen geben, doch die verstehen die Welt nicht mehr. Das ist mit allen Mitteln zu verhindern.

 

7. Tote Pferde besser als andere reiten

«Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab», besagt eine Weisheit der Dakota-Indianer. Die einen vermitteln aber glaubhaft, so hätten sie das Pferd schon immer geritten. Die an- deren wechseln schnell den Reiter. Extrem Stolze erklären, kein Pferd könne so tot sein, dass sie es nicht mehr reiten könnten. Geniale tauschen das tote Pferd gegen eine tote Kuh aus. Oftmals gipfelt das Bemühen darin, so umzuorganisieren, damit ein anderer Bereich das tote Pferd bekommt. Wenn ein Pferd tot ist, dann ist es tot. Wir könnten natürlich die Kriterien ändern, die besagen, dass ein Pferd tot ist. Letztendlich bleibt nur eine Möglichkeit: Die Augen zu öffnen und für Klarheit zu sorgen.

 

8. Menschen motivieren zu wollen

Das Konzept, «andere Menschen zu motivieren», ist auf Dauer nicht haltbar.

Motivation lässt sich nicht von aussen überstülpen, auch wenn dies so mancher Motivationsguru behauptet. Führung ist vielmehr die Vermeidung von Demotivation. Es geht darum, andere und sich selbst nicht zu demotivieren.

Wenn Sie Demotivation vermeiden wollen, denken Sie darüber nach, was Sie weglassen, aufgeben, streichen, reduzieren oder beenden können. Alles, was die Produktivität und Energie der Mitarbeitenden raubt, ohne nennenswert zur Wertschöpfung beizutragen, muss weg. Es gilt, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeitende ihr Bestes geben können.

 

9. Menschen für Organisation suchen

Stoppen Sie Suchinserate. Stoppen Sie Formulierungen wie: «Wir suchen. Wir stellen ein.» Geben Sie den Menschen vielmehr Chancen, Optionen und Perspektiven!

Ich behaupte: «Sucher suchen. Finder finden.» Wo gehören Sie dazu? Sucher suchen immer nur. Finder finden Menschen, die sie begleiten wollen. Finder schaffen eine Unternehmenskultur, die Menschen gerecht wird und anzieht. Und Finder haben eine klare Vorstellung von der Zukunft. Lassen Sie uns Finder sein!

Wenn Führungskräfte wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen sie die Arbeit und sich selbst als Arbeitgeber interessanter machen. Mehr noch: Sie müssen individuellen Menschen individuelle Möglichkeiten bieten und individuelle Chancen eröffnen.

 

10. Arbeit auf Arbeit reduzieren

So viele Ansichten greifen zu kurz. So viele Sichtweisen sind zum Scheitern verurteilt. Sie müssen es wagen, den Arbeitsbegriff zu erweitern. So weit, wie das heute junge und gut ausgebildete Menschen formulieren: «My work is a lifestyle.»

Hören Sie auf, Arbeit nur zu entlohnen oder ein Gehalt zu bezahlen. Lassen Sie eine andere Einstellung zu. Fragen Sie sich, wie sieht der optimale «Zeittauschfaktor» für meine Mitarbeitenden aus? Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Lassen Sie sich diesen Begriff auf der Zunge zergehen und tauchen Sie ein in die Welt der Zukunft …

 

Peter Baumgartner ist Unternehmensberater, Keynote-Speaker und sechsfacher Buchautor. Als inspirierender Redner begeistert er sein internationales Publikum mit Leadership und Kommunikation, Digitalisierung und Transformation. Er lehrt an Hochschulen und Business Schools. Peter Baumgartner bewegt Menschen und macht Organisationen zukunftsfähig.