Ein Interview von Sabine Schritt
Die Performance von Führungskräften beeinflusst den Unternehmenserfolg zwingend, meint Führungsexperte Peter Baumgartner. Eine Führungskraft muss mehr mitbringen als fundiertes Fachwissen. Soziale und emotionale Kompetenzen kommen immer noch zu kurz. Doch wer die Menschen ignoriert, wird bald keine mehr finden.
Herr Baumgartner, Sie coachen Führungskräfte. Welche Themen begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit am häufigsten?
Peter Baumgartner: Es dreht sich vor allem um Führungsfragen, die mit den Themen Kommunikation und Kultur verbunden sind.
Wie definieren Sie moderne Führung?
Ich verwende das Wort modern ungern, es ist mir zu plakativ. Was gestern noch modern war, ist heute schon überholt. Ich würde eher von zeitlos sprechen. Zeitlos ist und bleibt in der Führung die Aufgabe, Menschen groß zu machen. Das war vor hundert Jahren nicht anders und wird hoffentlich in hundert Jahren nicht anders sein. Wenn ich als Führungskraft andere Menschen in ihrer Performance stärke, habe ich wahnsinnig viel getan. Meine Kurzdefinition von Führung heißt: Menschen und Ereignisse positiv zu beeinflussen.
Inwieweit können Führungskräfte Ereignisse wie die Coronazeit oder die derzeitigen Krisen positiv beeinflussen?
In der Krise zeigen sich der Charakter von Führungspersonen und die Kultur von Organisationen. Es kommt darauf an, was passiert, wenn etwas passiert. Was macht dann den Unterschied in der Performance einer Führungskraft? Damit wären wir bei einem entscheidenden Merkmal einer zeitlosen Führung: Vorbildwirkung ist die einzige Möglichkeit, Menschen zu motivieren. Die einzige Kraft, die Führungskräfte haben, ist die Kraft des eigenen Vorbilds. Führung ist nicht, gemeinsam auf dem Tisch zu tanzen, „We are the Champions“ zu singen, Räucherstäbchen anzuzünden und dann ganz motiviert zu sein. Mein Anspruch an Führung lautet: Demotivation vermeiden! Also: Versuchen wir doch einmal als Führungskraft nicht ständig die Leute anzufeuern, zu motivieren und zu bespaßen, sondern einfach Demotivation wegzulassen, einen Tag lang Menschen nicht zu demotivieren. Und ganz wichtig: sich selbst auch nicht.
Welche Kompetenzen braucht eine Führungskraft, um Menschen groß machen zu können?
Eine Führungskraft muss neben allem fachlichen und methodischen Wissen auch über ausgeprägte soziale und emotionale Kompetenzen verfügen. Das zeichnet dann einen echten Leader aus. Sie müssen nicht zwingend ein guter Bäckermeister sein, um eine große Bäckerei erfolgreich zu führen. Sie sollen als Führungskraft offen sein für die Menschen, sie unterstützen und miteinander verbinden. Sie müssen die Semmel nicht selbst backen, das kann wahrscheinlich jemand anders besser.
Oft ist es aber so, dass der beste Verkäufer dann auch in eine Führungsposition befördert wird …
Ich kenne diese Beispiele. Menschen, die zum Sales-Leiter aufsteigen und dann todunglücklich sind, weil sie eigentlich am liebsten verkaufen, aber nicht gerne Menschen führen. Ich bin überzeugt, es braucht ein bisschen Fingerspitzengefühl.
Wie können Führungskräfte eine Balance zwischen Leistungserwartungen und Teamwohlbefinden schaffen, ohne dass die Performance leidet?
Führungskräfte stehen unter großem Druck. Sie erleben Tag für Tag eine enorme Spannung zwischen Leistungserfüllung nach oben und dem Anspruch, allen Mitarbeitenden im Team gerecht zu werden. Führung macht auch einsam. An der Spitze ist die Luft dünn. Sie merken oft, sie sind nicht mehr Teil des Teams, und das macht das Ganze schwierig. Wir haben viele Führungskräfte, die in ihren Fachkompetenzen top ausgebildet sind und genau wissen, wie das Ding geht. Die Fähigkeiten in kommunikativen, sozialen und emotionalen Bereichen werden jedoch zu oft sträflich missachtet.
Wird in den Unternehmen keine entsprechende Führungskräfteentwicklung geleistet?
Da sind wir jetzt bei einer ganz zentralen Frage und bei HR. Ich persönlich kategorisiere Führungskräfte und Unternehmen nach wenigen Punkten, unter anderem dem Stellenwert von HR in der Organisation. Wenn HR kein großer Stellenwert eingeräumt wird, kann ich nicht die tollsten Führungskräfte, Seminare, die größten emotionalen Kompetenzen oder was auch immer erwarten, wenn die Fachleute – also HR –, die dafür angestellt sind, nicht wirken können in diesem Unternehmen. HR hat gerade für die Unterstützung der Führungskräfte eine strategische Schlüsselrolle.
Gerade mittlere Führungskräfte sind dem Erwartungsdruck von unten und oben ausgesetzt. Was kann man an ihrer Situation verbessern?
Primär braucht es in diesen Positionen Menschen, die die grundsätzliche Bereitschaft haben, sich darauf einzulassen. Die sich bewusst sind, was alles dazugehört, gerade auch in dieser Sandwich-Position Großartiges zu leisten, konsequent zu arbeiten, andere zu befähigen, selbst angetrieben zu werden, und zugleich motiviert zu sein. Ich erlebe hier vor allem Defizite in der Selbstführung, die aber Voraussetzung dafür ist, andere Menschen gut zu führen. Eine weitere zentrale Fähigkeit ist es, dass eine Führungskraft klar, offen und ehrlich kommuniziert. Wenn sie das nicht tut, Menschen irgendwie abfertigt, dann wird sie auch nicht mehr gefragt. Offen gesagt haben wir in unseren Führungsriegen einen Mangel an Wissen in Kultur, Psychologie und Soziologie. Bei Führung geht es nicht um Excel-Tabellen oder ChatGPT, sondern es geht definitiv darum, ob ich verstehe, warum der andere Mensch jetzt so tickt, und was ich tun kann, damit wir gemeinsam Ziele erreichen.
Was macht eine gute Führungspersönlichkeit aus?
Eine Führungspersönlichkeit braucht Beziehungswissen und emotionale Intelligenz. Wenn ich den Anspruch habe, Menschen zu führen, muss ich Beziehungen verstehen und etwas über Teamentwicklung wissen. Mit emotionaler Intelligenz gelingt es, Vertrauen und Nahbarkeit herzustellen. Außerdem muss eine Führungskraft wörtlich „da sein“, ein offenes Ohr haben und den Teammitgliedern Vernetzung und Kooperation ermöglichen. Eine Führungskraft muss es schaffen, für Gleichwertigkeit, Deeskalation und Ausgleich zu sorgen. Heute geht es um Transparenz, die Menschen wollen wissen, warum sie hier sind und was sie tun. Ein Team habe ich als Führungskraft dann, wenn die Menschen Zugehörigkeit erleben, wenn sie Teil eines Teams sind und Führungskräfte sich um ihre Bedürfnisse kümmern. Es gibt kein stärkeres Gefühl als Zugehörigkeit. Es ist die Basis für Kooperation, Teamgeist, Loyalität, Gruppenidentität. Wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden Dinge schneller erledigt. Dies nenne ich: Schnelligkeit durch Vertrauen.
Was genau meinen Sie damit?
Vertrauen führt zu besserer Performance und größerer Produktivität. Vertrauen ist ein Mittel, um Kosten zu sparen. Misstrauen ist ein Kostenfaktor. Führungskräfte scheitern, wenn es ihnen nicht gelingt, ein Vertrauensumfeld um sich aufzubauen. Mikromanagement als das Gegenteil von Vertrauen ist fatal und rückschrittlich.
Welche Kennzahlen braucht es für gute Führung?
Mit reinem Fokus auf die Zahlen können Sie Ihr Geschäftskonto pflegen, aber als Führungskraft müssen wir uns heute zuerst um die Menschen kümmern. Dann wird sich das mit den Zahlen ergeben – sonst haben sie keine Menschen mehr. Gute Unternehmen wissen das. Der Mensch wird zum Luxus. Wir haben zu wenig Kolleginnen und Kollegen, zu wenig an Bankmitarbeitern, an Ärzten, an Telefonstimmen und so weiter, wir merken es alle jeden Tag persönlich und beruflich. Das heißt, wir müssen eine Kultur anbieten, die Menschen anzieht. Dann wird es auch mit der Zahlenwelt passen, wenn wir genügend engagierte Menschen finden, mit denen wir gute Erträge erwirtschaften können. Bedenken Sie, KI wird nicht alles richten können.
Inwieweit wird KI Führungskräfte unterstützen können?
Ich denke, Führungskräfte dürfen sich nicht auf die KI verlassen. Führung ist keine App. Man kann Personalführung nicht digitalisieren. Der Mensch ist zu wertvoll dafür. Menschen ignorieren Organisationen, die Menschen ignorieren.
Wie wirkt sich die Performance der Führungskräfte auf den Unternehmenserfolg aus?
Die Wirtschaftsmacht Deutschland hat seinen Führungsriegen viel zu verdanken. Derzeit verspielen jedoch viele Manager unsere Zukunft, weil sie selbstgefällig agieren. Wenn Führungskräfte eine Geltungssucht haben, übersehen sie schnell das Wesentliche. Und wenn sie ignorieren, was junge Menschen wollen, sagen diese Nein zu diesen Unternehmen. Ich höre immer wieder Menschen, die bei der Hochschule rausgehen und sagen: „Bei diesem oder jenem Unternehmen werde ich niemals anfangen.“ Respektlose und beratungsresistente Führungskräfte sind aus der Zeit gefallen. Sie gefährden aber mit ihrer Sturheit und Blockadehaltung möglicherweise den Aufschwung. Das Gleiche gilt für Führungskräfte, die Angst schüren. Machtfixierte Bosstypen haben uns in die Krise geführt. Dass sie „Krieg führen“ im Unternehmen und anderen das Leben schwer machen, das ist unglaublich. Die Kultur einer Organisation wird immer durch das schlimmste Verhalten geprägt, das eine Führungskraft toleriert. Wer als Unternehmen erfolgreich sein will, braucht eine angstfreie Kultur und psychologische Sicherheit. Damit meine ich keinesfalls Leistungsfreiheit. Aber: Das Unternehmen ist alles und der Mensch nur ein kleines Rädchen – das gilt nicht mehr. Der Mensch ist alles. Das Unternehmen hingegen ist ein bisschen weniger. Informierte, unabhängige, agile Menschen mit neuen Werten treffen heute immer noch auf Unternehmenskulturen von vorgestern. Menschen gewinnen, das wird nicht mit Zahlen gelingen, das wird nur auf der menschlichen, kulturellen und emotionalen Ebene gelingen.
Das klingt ein bisschen nach Schönwetter, inwieweit ist das haltbar in Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Situation?
Es ist höchste Zeit für Führungskräfte und für uns alle, einmal innezuhalten, die Kräfte zu bündeln. Wir müssen uns dem Wandel motiviert stellen, ihn erkennen, verstehen. Kurz: In diesem Druck, in dem wir uns befinden, innehalten und uns fragen: Was brauchen wir wirklich für eine erfolgreiche Zukunft?
Das heißt, Führungskräfte sollten sich bezüglich ihrer Performance eher nach innen auf die Teams und auf die Menschen richten als rein auf die Ergebnisse?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe beispielsweise ein Radrennteam geleitet und mein Fokus war immer, dass wir Rennen gewinnen. Mit Ergebnissen kann ich gezielt steuern und arbeiten, aber die Frage ist, wie ich die Menschen in meinem Team führe, ob ich Menschen klein mache oder ob ich Menschen begeistere und wachsen lasse. Es ist ein Konnex aus menschlichem und wirtschaftlichem Erfolg.